Segel gesetzt!
Bei schönem Wetter herrscht auf der Außenalster Hochbetrieb
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Die Alster – Hamburgs Herz

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Der Weg rund um die Binnen- und Außenalster ist legendär. So viel Geschichte säumt die Ufer und auf dem Wasser ist der Lärm der Stadt ganz weit weg. Ein Hoch auf Hamburgs Flaniermeile

Aus der Luft ist Hamburg gut zu erkennen – an seiner blauen Mitte. Die prangt da schon seit 1190, als Graf Adolf III. den Fluss aufstauen ließ, um eine Mühle zu betreiben. Vor ziemlich genau 400 Jahren wurde der See getrennt. Der kleinere Teil ist etwa 25 Fußballfelder groß und seit 1987 schießt im Frühling und Sommer hier eine Fontäne bis zu 60 Meter in die Höhe. Man könnte das für überflüssig oder protzig halten, aber tatsächlich sorgt sie für mehr Sauerstoff im Gewässer. Gut für die Wasserqualität und damit für die Fische, die Wasservögel und Rotwangenschmuckschildkröten, die in der Alster leben. Und ein schöner Anblick für alle, die mit der Bahn über die Lombardsbrücke einfahren oder auf der anderen Seite der Binnenalster, am Jungfernstieg, übers Wasser schauen. Dort, wo seit 1952 die sechste Auflage des Alsterpavillons steht (der erste wurde 1799 eröffnet) und der Jungfernstieg zu „Neuer Jungfernstieg“ wird, gibt es einen Platz, dessen Name nur Hamburgern ein Begriff ist: Er ist benannt nach Yüksel Mus, einem Hamburger Stadtreiniger, der mit Leidenschaft dafür sorgte, dass die Flaniermeile ihrem guten Ruf gerecht wurde. 

Denn während die Elbe mit dem Hafen für Handel und Wohlstand sorgte, war die Alster schon immer der Ort für Müßiggang und Genuss – und der Weg um Binnen- und Außenalster ist der Spaziergangklassiker schlechthin. Ziemlich genau zehn Kilometer sind das. 

Denn während die Elbe mit dem Hafen für Handel und Wohlstand sorgte, war die Alster schon immer der Ort für Müßiggang und Genuss

Zu Beginn der Runde sieht man am Eingang des Hotels Vier Jahreszeiten vielleicht Michael Menck, wie er formvollendet seine schwarze Kappe lupft, um Gästen und Nachbarn einen guten Tag zu wünschen. Seit 36 Jahren schon ist er Wagenmeister in diesem Haus, das vor 125 Jahren von Friedrich Haerlin
gegründet wurde. Der hatte damals eine Art Monopoly an diesem Teil der Alster gespielt, rundherum etwas dazugekauft und aus dem Hotel mit elf Zimmern ein international renommiertes Haus gemacht. Wer in die sehr besondere Atmosphäre eintauchen möchte, muss nicht unbedingt in einem der 156 Zimmer schlafen: Täglich zwischen 14 und 18 Uhr wird in der holzvertäfelten Wohnhalle der Königin Victoria Afternoon Tea serviert – mit Tee, Champagner, Etagèren mit Clubsandwiches und Kreationen aus der hauseigenen Pâtisserie. Very british – und sehr hanseatisch.

Sport? Bitte am Wasser!

Wer nicht einkehrt, spaziert weiter bis zur Lombardsbrücke, folgt rechter Hand dem Fußweg und nimmt den Weg unter Lombards- und Kennedy-Brücke entlang, wo sich die Außenalster vor einem ausbreitet, glitzernd, gesäumt von Villen und Grünflächen. Da ist es, das Hamburg der Segler und Ruderer, der Jogger und Spaziergänger. 

Über 20.000 Hamburgerinnen und Hamburger sind Mitglied in einem der 67 Segelclubs, 22 Kanu- und 20 Rudervereine. Zwei von ihnen begrüßen die Spaziergänger gleich hinter den Brücken: erst der Ruderclub Favorite Hammonia, ein paar Meter weiter dann der Hamburger und Germania Ruder Club von 1836. Letzterer war Deutschlands erster Ruderverein – und der zweitälteste nichtakademische Ruderclub der Welt. 1844 fand auf der Außenalster die erste deutsche Ruderregatta statt, 1850 die erste Segelregatta – und Kanupolo wurde sogar von Hamburger Polizisten erfunden, die 1927 ihren ersten offiziellen Wettkampf veranstalteten. 

Man muss allerdings nicht Mitglied in einem Club sein, um auf der Alster ein paar Runden zu drehen. Am Anleger Rabenstraße, da, wo aus der Straße Alsterufer der Harvestehuder Weg wird, verleiht Bodo Windeknecht, 81, Ruder- und Tretboote an jedermann, und Jollen an diejenigen, die einen gültigen
Segelschein vorweisen können. Aber auch ohne sportliche Ambition ist Bodos Bootssteg ein guter Platz, nicht nur, weil es öfter Prominente hierher verschlägt. 

Natur und Kunst für alle

​Gleich dahinter beginnt das Alstervorland. Früher war das alles Weideland, aber seit gut 200 Jahren dient es als Naherholungsgebiet. Vor der Jazz Hall, die im vergangenen Jahr auf dem Campus der Hochschule für Musik und Theater eröffnet wurde, können Erwachsene noch mal schnell Kind sein: Sky Swing nennt sich die Schaukel an den türkisblauen, langen Pfählen. Mit ihr geht es mit dem richtigen Schwung ordentlich hoch, fast, als würde man einmal kurz überm Wasser schweben. Für die Internationale Gartenbauausstellung wurde hier 1953 ein öffentlicher Park angelegt, eine wirklich
wunderbare grüne Ruhezone. Die Idee von damals, Kunst für alle auf öffentlichen Flächen zugänglich zu machen, lebt noch heute weiter: Aus „Plastik im Freien“ wurde das Programm „Kunst im öffentlichen Raum“. Das neueste Stück ist eine Skulptur namens „Hamburger Stadtmusikanten“, mit der Tierversuche ins Bewusstsein gerückt werden sollen. Sie stand eines Morgens da, bestellt hatte sie niemand, aber nun darf sie erst mal bleiben. 

Schräg gegenüber vom Cliff lassen die Hamburger ihre Hunde frei laufen. Die Wiese am Cliff ist ein guter Treffpunkt für Flirtwillige, das Cliff selbst übrigens auch. An der Krugkoppelbrücke geht der Alster- in den Eichenpark über. Die Ziegelsteinbrücke ist eine echte Schönheit, nicht erst seitdem sie fast zwei Jahre lang bis November 2019 für fünf Millionen Euro renoviert wurde. Auf der Brücke bitte Zeit nehmen, die Ornamente sind es wert, aus der Nähe betrachtet zu werden. Und der Blick Richtung Außenalster oder zur anderen Seite Richtung Eppendorf, ist ebenfalls beeindruckend.

Am Leinpfad könnte man nun bis zum Eppendorfer Mühlenteich flanieren, dem Winterquartier der Alsterschwäne. Energiesparende Wasserpumpen sorgen dort dafür, dass die Wasseroberfläche nicht zufriert. Seit 400 Jahren fühlen sich die Schwäne auf der Alster zu Hause. 1664 wurde sogar ein Gesetz erlassen, das das Beleidigen von Schwänen verbot. Denn die Schwäne waren Eigentum der Stadt, sie zu halten ein Privileg, das sonst nur Adligen zustand. Seit 348 Jahren leistet Hamburg sich einen Schwanenvater, es ist die älteste städtische Planstelle. Seit 1995 ist das Olaf Nieß. Bisweilen ist er auch für Seehunde zuständig, die sich in die Elbe verirren. Verkauft hat Hamburg noch keinen einzigen Schwan, wohl aber verschenkt. Zur Eröffnung des New Yorker Central Park gleich zwölf Stück. Tragischerweise waren nach zehn Tagen sieben von ihnen tot, weil sie Rattengift gefressen hatten.

Wir biegen nicht ab, sondern folgen der Brücke, die zur Fernsicht führt. Auf der rechten Seite schaukeln Kanus und Boote. Verleih, Reparaturen, Restaurant – bei Bobby Reich gibt’s den Rundumservice. Links geht es zum Rondeelteich. Verliebte sollten hierherpaddeln, etwas abseits des Trubels kann man sich hier einfach treiben lassen und den Blick auf die schicken Häuser am Ufer genießen und sich ausmalen, wie es wäre, hier zu wohnen. In der Nummer 29 hatte sich Anfang der 1970er-Jahre eine illustre Runde zur WG zusammengetan: Otto Waalkes, Udo Lindenberg, Marius Müller-Westernhagen haben in dem von ihnen Villa Kunterbunt genannten Altbau ordentlich gefeiert und ab und an teilte man sich wohl auch den Damenbesuch. Wo die Fernsicht das Wasser überspannt, biegen wir rechts ab in die Bellevue, überqueren den Langen Zug und halten uns abermals rechts, um wieder zum Ufer zu kommen: Schöne Aussicht heißt es hier, der dritte Straßenname, der den Blick lobt. Man kann es verstehen. Bevor der Weg auf den Schwanenwik führt, ist es Zeit für eine Pause. Die Alsterperle ist eines von 28 alten Hamburger Toilettenhäuschen, die einem neuen Verwendungszweck dienen: Läden, Ausstellungsräume oder auch Gastronomie wie an der Alsterperle, wo Anwohner und Ausflügler deftige Suppe genießen, Kaffee oder Bier. Gestärkt geht es Richtung Ballindamm zur Binnenalster. Hier hat Albert Ballin es nicht nur mit der genialen Idee, ein komplettes Zwischendeck eines Frachtschiffs zu buchen und billige Schiffstickets an Amerika-Auswanderer zu verkaufen, zu sehr viel Geld gebracht, er erfand später auch nebenbei die Kreuzfahrt: 1891 schickte er den Dampfer „Augusta Victoria“ im Winter, als man nicht über den Atlantik schippern konnte, zum puren Vergnügen auf Sightseeing-Tour durchs Mittelmeer. Das kam gut an. Sein ehemaliger Arbeitsplatz, das Hapag-Lloyd-Gebäude, steht noch immer, äußerlich unverändert. Vielleicht ist es das, was den Charme der Alster ausmacht: die Nostalgie, die über dem Wasser zu schweben scheint, und das Gefühl, dass manches zum Glück einfach bleibt.