
Irgendwann ist die Frage unausweichlich: „ Alster? Oder an die Elbe?“ Dabei geht es um mehr als darum, ob man den rauen Wind auf der Haut spüren möchte oder eher den Schutz von großen ufernahen Baumkronen sucht. Ob man Möwenschreie liebt oder den leisen Sound klappernder Segelbootmasten bevorzugt. Wie herrlich, dass man das alles in Hamburg haben kann, oder?
Elbe oder Alster. Als ich vor dreißig Jahren nach Hamburg zog, war mir die Dimension der Entscheidung noch nicht bewusst. Rückblickend landete ich häufig am Elbstrand. Ziel: der Museumshafen Övelgönne im Stadtteil Othmarschen. Hier beginnt ein Abschnitt, der einen mit einer unerklärlichen Fernwehattacke überrumpelt. Vorbeifahrende große Kähne mit exotischen Flaggen. Der Geruch von Meer, die Füße im Sand vergraben. Man kann stundenlang so verharren. Nur aufstehen, um sich auf eine Luke zuzubewegen, aus der Matjes und kühles Bier gereicht werden. Moin und danke!
Hanseatisch gediegen bis wild
Die Strandperle war Anfang der Neunzigerjahre noch ein Kiosk, um den chaotisch ein paar Stühle gruppiert waren. Sie begeisterte auffällig viele Hamburg-Neulinge, vereint mit Einheimischen, denen das Zentrum zu aufgeräumt war. Oder auch: hanseatisch gediegen. So wild ist allerdings auch die Strandperle nicht mehr. An manchen Sommertagen herrscht in der erweiterten Gastroerlebniszone ein Gedrängel wie auf den Treppen des Jungfernstiegs. Wenn man das ausblendet und den Blick nach vorn richtet auf die Elbe und den Containerhafen, in dem 365 Tage im Jahr gearbeitet wird, ist die Atmosphäre immer noch unvergleichlich. Ein Gemisch aus Hafenkrach, Stadtstrandromantik und der Ahnung, dass hier weit wegführende Meeresstraßen ihren Anfang nehmen.
Vorbeifahrende große Kähne mit exotischen Flaggen. Der Geruch von Meer, die Füße im Sand vergraben. Man kann stundenlang so verharren
Hamburg besitzt nach Rotterdam und Antwerpen den drittgrößten Hafen Europas. Auch die Strandperle ist in dieser Industriegeschichte verankert. Im Jahr 1911, als der Schiffsverkehr in wilhelminischer Zeit einen großen Aufschwung erlebte, eröffnete an dieser Stelle eine Milchhalle, die bei Lotsen und Bootsfahrern äußerst beliebt war. Den Namen Strandperle erhielt die ehemalige Arbeiterbar nach dem Wiederaufbau im Jahr 1976, nachdem eine Sturmflut von dem Gebäude fast nur noch Treibholz übriggelassen hatte. Unberechenbare Elbe, den Naturgewalten ausgesetzt – auch das ist ein Teil von Hamburg, einer der wirtschaftlich produktivsten Städte Deutschlands. Dabei begann die Geschichte des Hamburger Hafens gar nicht an der Elbe, sondern an der Alster.
Die Alster ist ein kleiner Fluss, der im schleswig-holsteinischen Henstedt-Ulzburg entspringt und nach nur 56 Kilometern in Hamburg in die Elbe mündet. Auf den letzten Metern, dem heutigen Nicolaifleet in der Altstadt, wurde schon im 9. Jahrhundert Schiffshandel betrieben. Geschützt wurde der nördlichste Außenposten des Fränkischen Reiches von der Befestigungsanlage Hammaburg. Als Gründungsdatum des Hamburger Hafens gilt der 7. Mai 1189, verbunden mit Kaiser Friedrich Barbarossa, der der Siedlung weitergehende Handelsrechte zusicherte (die offizielle Urkunde im Rathaus soll jedoch nachträglich angefertigt worden sein). Hamburg blühte im Mittelalter auf, woran der Beitritt zum Hanse-Verbund (1381) maßgeblichen Anteil hatte. Die Bevölkerung wuchs rapide, von anfangs ein paar Hundert auf 40.000 Einwohner um 1600.
Vom Mühlenteich zum Alstersee
Mit dem Segen des Kaisers fühlte sich auch Graf Adolph III. aus dem Adelsgeschlecht Schauenburg und Holstein ermutigt, im Jahr 1190 eine Kornmühle an der Alster zu errichten. Hierfür ließ er das Wasser mit Dämmen stauen und die umliegenden Wiesen fluten. Der heutige Alstersee war ursprünglich ein Mühlenteich. Als im 17. Jahrhundert die weiter wachsende Stadt mit neuen Wallanlagen geschützt wurde, entstand eine Brücke, die den See zweiteilte – in die Binnenalster und die größere Außenalster, die sich in viele Seitenarme verästelt.
Auch die Alster hat ihre Perle. Das rote Backsteinhäuschen liegt in einem Parkstreifen im Stadtteil Uhlenhorst. Die Füße an der Ufermauer baumelnd, genießt man hier einen Traumblick auf die Hamburg-Skyline, vor der aufgeblähte Bootssegel und wellenreitende Schwäne die weißen Tupfer auf sattem Alsterblau bilden. Das Lokal Alsterperle, vor zwanzig Jahren in einem ehemaligen Toilettenhaus eröffnet, hat eine kürzere Geschichte als seine Schwester an der Elbe. Doch schon sehr viel länger ist das wohlhabende Hamburg in den Stadtteilen Uhlenhorst, Winterhude und Harvestehude zuhause. Wer den Alsterrundweg verlässt, kann versteckte herrschaftliche Villen bestaunen. Menschen, die der lukrative Handel mit der ganzen Welt reich gemacht hat, haben sich hier ihre Idylle mitten in der Stadt geschaffen. Ein Ort des Rückzugs und des Ankommens. Der es heute auch für diejenigen ist, die dieses Wasserreich in einem Ausflugsdampfer, Paddelboot oder auf dem eigenen SUP-Board erkunden.
Hagenbeck, Albers und Lindenberg
In Hamburg kann man sein Heimweh und zugleich die Sehnsucht nach erweiterten Horizonten stillen. Von der Entdeckung Nordamerikas im Jahr 1492 profitierte auch der Hamburger Hafen, mit neuen Frachtrouten über den Atlantik und in andere Erdteile. Im 19. Jahrhundert wurde der zu klein gewordene Alsterhafen in das heutige Becken an der Elbe verlegt. Seefahrer, Einwanderer sowie kulturelle Vielfalt haben Hamburg früh geprägt. Die diskrete hamburgische Geschäftigkeit verbindet sich mit dem Reiz des Unbekannten sowie einer Vergnügungslust, die vor allem im hafennahen Stadtteil St. Pauli ihre Heimat gefunden hat. Elbe und Alster: Gegensätze, die sich wunderbar anziehen.
Der Bummel über die Reeperbahn ist touristische Pflicht. Der dortige Spielbudenplatz mit seinen Theatern und Clubs jeder Spielart war im frühen 19. Jahrhundert ein Ort, wo sich zwischen Händlern auch Gaukler und Künstler in kleinen Holzhütten niederließen. Der Fischverkäufer Gottfried Claes Carl Hagenbeck sorgte 1848 für großes Aufsehen: In Holzbottichen hatte er sechs Seehunde, die ihm Fischer als Beifang abgeliefert hatten, ausgestellt. Die damals noch exotisch anmutenden Lebewesen lockten so viele Neugierige an, dass Hagenbeck begann, acht Pfennig Eintritt zu kassieren. Es war der Einstieg in einen Welt-Tierhandel, aus dem der Sohn Carl Hagenbeck den 1907 eröffneten Tierpark Hagenbeck entwickelte. Statt Gitter gab es Gräben, und die Löwen und Elefanten hatten in Naturgehegen viel Auslauf. Damit war der Zoo seiner Zeit weit voraus. Eine Eigenschaft, die fest zur Hamburger Hafenstadtmentalität gehört. Genau wie die Offenheit gegenüber Neuankömmlingen.
Udo Lindenberg hat es als gebürtiger Westfale sogar zum Ehrenbürger gebracht. Wie Hans Albers, der Herzensbrecher mit dem Schifferklavier, steht die vitale Rockikone für die ganz große Freiheit. Mehr unruhige Elbe als stille Alster. Doch mit viel Glück kann man beobachten, wie Hamburgs berühmtester Hut auf der Terrasse des Alster-Cafés Hansa-Steg zur Ruhe kommt. Dann hebt Lindenberg den Kopf und schaut ohne die obligatorische dunkle Brille übers Wasser. Hier ist der Hamburger Sonnenuntergang einfach spektakulär. Und er kann locker mit dem Elbufer mithalten.