Neues Wahrzeichen mit einprägsamer Silhouette: die Elbphilharmonie
Stadtloggia
Der Laubengang der Elbarkaden ist ein trockener Ort – auch bei „Hamburger Wetter“
Deutschland > Hamburg > Hafencity

Hafencity – ein ganz neuer Stadtteil

Text
Kirsten Rick | Lesedauer 8 Minuten
Mit der Hafencity entsteht in Hamburg ganz zentral ein völlig neuer Stadtteil, direkt an der Elbe und am UNESCO-Weltkulturerbe Speicherstadt. Ein Streifzug über viele Brücken, durch ganz unterschiedliche Quartiere und die Zeit

Wer die Geschichten einer Stadt sucht, muss ans Wasser gehen. Hamburg ist seit jeher eine Hafenstadt, hier liegt die Identität der Handelsmetropole. Die Elbe macht Hamburg zum „Tor zur Welt“. Das Hafengebiet ist Schauplatz von Legenden und die Hafencity Spielplatz von Stadtentwicklung. Geschichte und Zukunft treffen sich. Viele Brücken führen heute ins Gestern, ins Morgen und Übermorgen.

Auf der Wilhelminenbrücke am westlichen Zipfel der Hafencity und der Speicherstadt liegt ein Teppich. Kein echter, sondern ein Kunstwerk, der „Steinerne Orientteppich“ von Frank Raendchen. Aus Naturstein in verschiedenen Rottönen, gesäumt von Wischmoppfransen, versiegelt mit Kunstharz. Er heißt uns willkommen und weist darauf hin, dass hinter den schmucken Backsteinfassaden Tausende von Teppichen gehandelt werden – die Speicherstadt ist der größte Umschlagplatz für Orientteppiche der Welt.

Kleine Welt ganz groß Das Miniatur Wunderland begeistert mit vielen Details

Früher lagerten auf den Böden der Speicher hauptsächlich Kaffee, Tee, Gewürze. Der weltgrößte zusammenhängende Lagerhauskomplex wurde 2015 ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen, zusammen mit dem Kontorhausviertel und dem Chilehaus. Mit seinen Erkern, Türmchen, Schmuckgiebeln und Sandsteinornamenten wirkt das „gigantische Schatzkästlein der Hamburger Wirtschaft“ (so nannte es der Kunsthistoriker Hermann Hipp) beinahe, als sei es selbstverständlich schon immer da gewesen. Doch das war es nicht: Für die Speicherstadt wurde ein ganzer Stadtteil geopfert, rund 1000 Häuser abgerissen, etwa 20.000 Menschen umgesiedelt. Das Projekt wuchs zügig:
1888, nur fünf Jahre nach der Grundsteinlegung, weihte Kaiser Wilhelm den ersten Abschnitt ein. Ein Teil wird immer noch als Lager genutzt, in andere Speicher sind Museen, Kreative und Touristenattraktionen wie das Miniatur Wunderland eingezogen.

Stadtloggia Laubengang der Elbarkaden beim Internationalen Maritimen Museum

Rückkehr an die Elbe

Direkt angrenzend an die Speicherstadt wächst die Hafencity, das größte innerstädtische Stadtentwicklungsprojekt Europas. „Dafür musste ich alle Regeln umgehen“, sagte der damalige Bürgermeister Henning Voscherau einst in einem Interview. Seine „Vision Hafencity“ stellte er am Hafen-
geburtstag 1997 der Öffentlichkeit vor: „Es geht um die Rückkehr an die Elbe.“ 2000 verabschiedete der Senat den Masterplan, 2005 zogen bereits die ersten Bewohner ein.

An der Pontonanlage des Sandtorhafens schaukeln historische Wasserfahrzeuge, vom Schlepper über das ein oder andere Segelboot bis zum Greif, einem ehemaligen Schwimmkran. Der beherbergt nicht nur das Kuriositätenkabinett „Harrys Hafenbasar“, sondern auch ein winziges Hotel für zwei Personen. Am Südufer ragen drei restaurierte Stückgutkräne in die Höhe, Reminiszenzen an die Geschichte des Ortes. Leise knarzen die Gelenke der Pontons, die Wellen wiegen sachte. Die Rückkehr an die Elbe lässt sich hier genießen. Im Sandtorhafen sind nicht nur die Schiffe alt, der Hafen ist es auch: Bei seiner Eröffnung in den 1860er-Jahren war er das erste künstlich geschaffene Hafenbecken der Hansestadt, der Geburtsort des modernen Hamburger Hafens.

Weinberg-Prinzip Im großen Saal der Elbphilharmonie steigen die Sitzreihen steil an

Wer sich etwas Zeit nimmt, genießt von hier den Blick auf die „Elphi“, wie die Elbphilharmonie auch liebevoll genannt wird. Die gläserne Welle des Konzerthauses funkelt auf dem trutzigen Kaispeicher. Wie viel das Prachtstück die Stadt gekostet hat (800 Millionen Euro, über zehnmal mehr als geplant) und über die zahlreichen Skandale bis zur immer wieder verschobenen Eröffnung, darüber redet man in Hamburg nicht mehr. Zu stolz ist man auf das neue strahlende Wahrzeichen mit der markanten Silhouette im Stadtbild. Und wer kein Ticket für ein Konzert ergattern kann, fährt wenigstens mit der leicht gebogenen, über 80 Meter langen Rolltreppe auf die Plaza auf 37 Meter Höhe und erfreut sich an der Rundum-Aussicht über Landungsbrücken, Hafen, Innenstadt und die Hafencity.

Mit Kunst wird der Stadtteil lebendig

Aus zehn Quartieren setzt sich Hamburgs jüngster Stadtteil zusammen, die reichen vom Sandtorkai bis zu den Elbbrücken, auf einer Gesamtfläche von 157 Hektar ehemaligem Hafen- und Industrieareal. 2025 soll alles fertig sein, so der Plan.

„Häuserzoo“ und „Würfelarchitektur“, lästern manche Besucher. Sicher, manche Fassaden wirken glatt und schematisch, es gibt viel Backstein, viel Weiß. Aber jedes Grundstück wurde einzeln ausgeschrieben, und so treffen hier die verschiedensten Konzepte und Gestaltungsideen aufeinander.

Und wenn man genauer hinsieht, entdeckt man die Feinheiten, die Unterschiede – und auch Gemeinsamkeiten wie den eingebauten Flutschutz. Die Häuser wurden nach dem Warftprinzip gebaut, die entscheidenden Ein- und Ausgänge und Räume liegen fünf bis sieben Meter über der Wasserlinie. Da macht es nicht viel, wenn bei Sturmflut im Winter mal die Straßen unter Wasser stehen.

Um Wasser geht es auch in dem digitalen Spiel „Botboot“: Hier ist die Hafencity überflutet, nur einzelne Inseln ragen noch hervor. Die kann man mit einem selbst gewählten Boot (oder auf einer Luftmatratze) anfahren und so das Viertel aus einer anderen Perspektive erkunden. Wer mag, begibt sich auf die Spuren von Odysseus und spricht an ausgewählten Orten – zum Beispiel schaukelnd im Lohsepark – Verse des Seefahrerepos ein. Einfach auf botboot.de gehen, dann kann dieser ganz andere Stadtrundgang beginnen.

Das „Botboot“-Spiel ist eines der von Ellen Blumenstein initiierten Projekte. Die smarte, gewinnend und engagiert erzählende Frau ist Kuratorin der Hafencity. Was sie tut? „Meine Aufgabe ist es, dem Stadtteil zu helfen, lebendig zu werden.“ Und das in einer Gegend, die genau durchgeplant ist, kontrolliert und auch sehr kommerziell. Dem möchte sie etwas entgegensetzen. „Wir versuchen, Anlässe und Geschichten zu erschaffen – und die sollen die Besucher nichts kosten.“ Die Kunstwerke müssen entdeckt werden: Die „Bee Chapel“ – eine Art Kapelle für Bienen – stand erst am Störtebeker-Ufer auf einer kleinen, versteckten Grünfläche, überwintert nun auf dem Dach des Ökumenischen Forums und kann dort nach Anmeldung voraussichtlich noch bis zum Sommer besichtigt werden. Die Installation „Backdrop“ (bis 11.4.2021), eine mit prähistorischen Unterwasserwelten bemalte Kulisse, versteckt sich in einer Tiefgarage. Öffentlich zugänglich, aber nicht offensichtlich.

Das nächste Projekt, „Die Pforte“ (ab Mai), wird ein Parcour an den Eingängen der Hafencity. Es bezieht sich auf den Slogan „Hamburg – das Tor zur Welt“. In den verschiedenen Werken wird es um die Welt-
offenheit der Hansestadt gehen, um Handel und Reisen, aber auch darum, für wen dieses Tor geschlossen bleibt.

Störtebeker Denkmal für den damaligen Erzfeind der Hanse

Passanten und Piraten

Gelungen ist die Hafencity dort, wo sie sich dem Wasser öffnet: auf den Magellan- und den Marco-Polo-Terrassen oder am Dalmannkai. Dort stehen Angler und hoffen darauf, Zander zu fangen. „Streetfishing“ heißt der Trend, Innenstadt-Angeln in der Mittagspause oder nach Feierabend. Die Angler erobern sich den Lebensraum Hafencity auf ihre Weise. Ähnliches passiert an den Elbarkaden: Die überdachte Promenade ist zwar an kühlen Tagen zugig, bietet aber zumindest Schutz vor dem nicht so seltenen Regen und hat ein luxuriöses Feature: Der Boden ist aus Travertin, einem hochwertigen, glatten Belag, den Skater und Tanzgruppen lieben – nicht immer zur Freude der Anwohner. Tagsüber belebt ist der Überseeboulevard, eine Fußgängerzone mit dem bislang einzigen Supermarkt des Viertels. Wer die etwa 300 Meter lange Einkaufsstraße entlangschlendert, passiert ein illustres Sammelsurium an Läden und hat die Wahl zwischen wuchtigen Holztischen, edler Unterwäsche oder einer technisch sehr raffinierten Fotografie des eigenen Auges, genauer gesagt der Iris.

Nicht weit entfernt, am Störtebeker-Ufer, steht das Störtebeker-Denkmal. Es zeigt den Piraten entkleidet und gefesselt, kurz vor seiner Hinrichtung. Zu diesem schaurigen Spektakel fand sich am 20. Oktober 1401 auf dem Grasbrook eine Menge Schaulustiger zusammen. Störtebeker konnte dem Bürgermeister das Versprechen abringen, die Männer zu begnadigen, an denen er kopflos vorbeizulaufen vermochte. Elf sollen es gewesen sein, bis der Henker ihm ein Bein stellte. Der Bürgermeister brach sein Ver-
sprechen und ließ die gesamte Mannschaft hinrichten. Und den Scharfrichter, der einen flotten Spruch wagte, noch dazu. Das Gold, das die Seeräuber erbeutet hatten, wurde später im Mast ihres Schiffes gefunden, es ziert heute als Krone den Turm der Katharinenkirche. So geht die Legende. Bemerkenswert ist, dass die Stadt einem ihrer ärgsten Feinde ein Denkmal errichtet hat. Sie ist wohl doch stolz auf ihren berühmten Piratenkapitän.

Blick aufs Wasser Auf den Promenaden wie am Dalmannkai

Parks, aufwendig gestaltet

Dicht bebaut ist die Hafencity, doch zwischen den Häuserblöcken liegen aufwendig geplante und gestaltete Parks. Die Spielplätze dort begeistern Frederik Braun, Gründer und kreativer Kopf des Miniatur Wunderlandes und Vater von vier Kindern: „Die erinnern mich an meine Neuseelandtour – und die haben die schönsten Spielplätze der Welt.“ Im Grasbrookpark klettern die Kinder auf einem Piratenschiff (Störtebeker lässt grüßen) auf einer Schatzinsel. Der Lohsepark gilt als „Central Park“ der Hafencity
– wohl auch wegen seiner langgestreckten rechteckigen Form. Etwa vier Hektar ist er groß und reicht von Wasser zu Wasser. Die Früchte seiner Obstbäume dürfen von jedem geerntet werden. Auch die Vergangenheit hat einen Platz: Das „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“ erinnert an die Deportation von insgesamt 8071 Juden, Sinti und Roma in die Ghettos und nationalsozialistischen Vernichtungslager in Osteuropa. Gleise führen ins nichts, ein Schotterbett wird überwuchert, Tafeln nennen die Namen der Opfer. Ein stiller Ort, der nachdenklich macht.

Der Baakenpark ist Neuland. Eine künstlich aufgeschüttete Halbinsel wurde zu einer grünen Oase auf drei Plateaus, ein geschwungener Kontrast zur ansonsten geradlinigen Hafencity. Steil hinauf ragt
der „Himmelsberg“, der Aufstieg wird mit einem weiten Blick belohnt.

Wer nicht zu Fuß über eine der Brücken in die Hafencity spazieren möchte, kann auch die U-Bahn nehmen. Das neue Viertel bekam eine eigene Linie, die U4, mit sehenswerten Stationen: In der Haltestelle „Hafencity Universität“ hängen Lichtwürfel von der Decke, die an Schiffscontainer erinnern und die Farbe wechseln – akustisch unterstützt von einer Klangcollage aus Hafengeräuschen und Möwengeschrei. Der U-Bahnhof Elbbrücken ist ein Lieblingsort der Kuratorin Ellen Blumenstein: „Der kommt mir fast vor wie das Gleis 9 ¾ bei ‚Harry Potter‘. Man hat das Gefühl, man springt von dort in eine eigene Welt.“

Der Stadt beim Wachsen zusehen

Eine eigene Welt ist das Oberhafenquartier. Am Eingang steht ein schiefes Haus, die alte Kaffeeklappe Oberhafen-Kantine. Dahinter sieht Hamburg fast ein bisschen aus wie New York „Kopfsteinplasterstraßen, langgestreckte, eingeschossige Backsteinhallen und stillgelegte Bahngleise erinnern an den einstigen Güterbahnhof“, sagt Egbert Rühl, Geschäftsführer der Hamburg Kreativ Gesellschaft. Hinter den Backsteinfassaden köcheln neue Ideen. „Hier sind Deutschlands erster gemeinnütziger Fundus und Deutschlands erste Indoor-Parkour-Halle entstanden,“ so Rühl. Ein Blick hinter die Türen lohnt sich. In der Hobenköök, einem Mix aus Restaurant und Markthalle, gibt es leckeres regionales Essen, in den Hallen der Hanseatischen Materialverwaltung allerlei Kuriositäten.

In der Hafencity kann man der Stadt beim Wachsen zusehen. Jede Woche, jeden Tag. Und wer einen Monat oder ein Jahr später wiederkommt, der staunt, was sich alles verändert hat. Vielleicht ist die Hafencity irgendwann fertig. Vielleicht auch nicht. Kann eine Stadt überhaupt je fertig sein? Oder beginnt dann die Veränderung von Neuem?

war diesmal nur zu Fuß und mit dem Rad auf Recherche und hat ihren Nachbarstadtteil neu entdeckt